Montag, 7. Dezember 2020

Eine Stellungnahme zur Corona-Pandemie

Eine Frage beschäftigt Deutschland gerade sehr: warum sinkt die Zahl der COVID-19-Infektionen trotz der zahlreichen Gegenmaßnahmen nicht? Das erzeugt in steigendem Ausmaß eine gewisse Frustration in der Bevölkerung, und sicher auch bei den Regierenden. Die Antwort lautet: weil wir eine Virus-Pandemie nicht mit spontanen Gegenmaßnahmen beenden können. Das zu glauben ist eine Illusion. Viren sind Organismen an der Grenze dessen, was man „Lebewesen“ nennen kann, die darauf ausgelegt sind, sich trotz aller Hindernisse weiterzuverbreiten. Es gibt nur zwei Dinge, die sie wirklich aufhalten können. Erstens: es steht kein geeigneter Wirt mehr zur Verfügung, weshalb das Virus nach einer gewissen Zeit abstirbt. Zweitens: das Virus trifft zwar auf einen geeigneten Wirt, dessen Immunsystem ist aber stark genug, den Angriff abzuwehren. Für ersteres ist unsere moderne Form des Zusammenlebens schlecht geeignet. Wir bieten Viren ein wahrhaftes Paradies, indem wir uns dicht aneinander in immer größer werdenden Städten sammeln, und indem wir uns immer weiter und immer häufiger fortbewegen, auch über Landesgrenzen und Kontinente hinweg. Und für die zweite Variante des „Sieges über die Viren“ ist es gerade schlicht und einfach die falsche Jahreszeit. Im mitteleuropäischen Winter ist das Immunsystem der meisten Menschen deutlich schwächer als im Sommer, was nicht zuletzt daran liegt, dass ein Großteil der Menschen in der dunklen Jahreszeit nicht ausreichend mit dem Sonnenvitamin D versorgt ist. Zudem verbringen im Winter mehr Menschen Zeit in geschlossenen Räumen als im Sommer, so dass die Distanzen, die Viren überwinden müssen, durchschnittlich geringer sind. Eine wirksame Impfung, die dem Immunsystem die deshalb besonders notwendige Schützenhilfe geben könnte, steht noch nicht zur Verfügung. Also: dass die Infektionszahlen derzeit nicht sinken, liegt in der Natur der Dinge. Außerdem muss man sagen: im Vergleich zu der Konsequenz und Klarheit, mit der unsere Regierenden im Frühling auf die spezielle Situation reagiert haben, ist das, was jetzt betrieben wird, ein halbherziges Durcheinander. Das neueste Paradebeispiel aus Bayern: eine Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr. Wer geht denn bitte sehr im Winter nachts hinaus, noch dazu, wenn Gaststätten, Bars und Diskotheken geschlossen sind? Das als „drastische Verschärfung“ der Maßnahmen zu verkaufen, klingt wie ein Scherz. Noch dazu sind die Regelungen je nach Bundesland und sogar Ort so unterschiedlich und werden so häufig geändert, dass immer weniger Menschen wissen, woran sie sich gerade halten sollen. Soll das jetzt heißen, man könnte all diese Maßnahmen einfach bleiben lassen, und das würde an der bestehenden Situation nichts ändern? Nein, sicherlich haben manche der Maßnahmen (wie zum Beispiel, dass sehr viele Menschen derzeit von zuhause aus arbeiten) eine gewisse Wirkung. Man sollte aber aussortieren und alle offenkundig unsinnigen Maßnahmen zurücknehmen, dafür solche Maßnahmen, die in anderen Ländern eindeutig zur Eindämmung der Pandemie beigetragen haben, konsequent übernehmen. Allem voran wäre das ein sofortiger Stopp von Ein- und Ausreise, außer in notwendigen Fällen, wobei die Definition von „notwendig“ eng gefasst werden sollte. Letztendlich müssen wir aber auf den Frühling und die Verteilung von Impfstoffen warten, vorher wird die Pandemie nicht enden. Und sie wird nicht die letzte ihrer Art sein. COVID-19 ist ein recht harmloser Virus im Vergleich zu dem, was der Menschheit noch bevorstehen könnte. Gegen die jetzige „Viruswelle“ können wir nicht mehr allzu viel unternehmen, wohl aber gegen zukünftige. In meiner „Risikomatrix für das Projekt Überleben der Menschheit“ habe ich Anfang 2019, Monate vor Corona, eine Pandemie als eines der größten Risiken aufgeführt, auf das wir uns sorgfältig vorbereiten sollten. Das ist bisher ganz einfach nicht geschehen, und man wurde – einmal wieder – von einer eigentlich vorhersehbaren Situation „vollkommen überrascht“, weil bei Regierungsentscheidungen nicht ausreichend weit in die Zukunft gedacht wird und zu viele Aspekte vernachlässigt werden. Was also können (und müssen) wir zukünftig tun? Wir müssen wieder mehr auf kleinere Siedlungsstrukturen setzen, mehr auf regionalen Handel und wohnortnahe Arbeitsplätze auch außerhalb der Großstädte. Dadurch muss auch die Menge von nationalen und internationalen Geschäftsreisen und Pendlerfahrten reduziert werden. Die Macht großer Handelsketten und Konzerne muss eingeschränkt werden, kleinere und regionale Unternehmen müssen wieder bessere Chancen haben. Das medizinische System, das in den letzten Jahrzehnten immer stärker privatisiert und immer mehr profitorientiert gestaltet wurde, muss wieder seinen eigentlichen Zweck, nämlich die flächendeckende und auch krisenfeste Gesundheitsversorgung aller Bürger, erfüllen. Dazu muss es größtenteils in staatlicher Hand sein, und wo das nicht der Fall ist, strikten Auflagen gehorchen. Wir müssen die Schulen mit mehr Räumlichkeiten und mehr Personal ausstatten, so dass kleinere Klassen gebildet werden können. Distanzunterricht und Home Schooling dagegen, wobei ein Großteil der Verantwortung für die schulische Ausbildung auf die Eltern übertragen wird, ist nur eine absolute Notlösung. Wir müssen es durch die längst überfällige Einführung eines Elterngehalts und durch eine gerechtere Lohnstruktur Eltern wieder leichter möglich machen, dass ein Elternteil für die Kinder zuhause bleibt, so dass zum Beispiel auch kranke Kinder daheim bleiben können, statt mit Husten und Schnupfen in Betreuungseinrichtungen gehen zu müssen, weil die berufstätigen Eltern nicht da sind. All diese wirklich gegen Pandemien wirksamen Maßnahmen helfen dabei auch noch in anderer Weise: für den Umweltschutz, für psychische Stabilisierung von Menschen, für ausgeglichene Sozialstrukturen und gegen die fortschreitende Ersetzung menschlicher Werte durch Profitdenken. Die COVID-19-Pandemie bringt keine neuen Probleme, sie offenbart nur die Probleme, die wir bereits hatten, ganz deutlich. Übrigens: die sich ausbreitende Meinung, die Anti-Corona-Maßnahmen würden der Gängelung und Kontrolle der Bevölkerung und der bewussten Einschränkung der Demokratie dienen, sind Unsinn. Was 2020 passiert, ist der verzweifelte Versuch von Politikern und ihren Beratern, eine bereits begonnene Pandemie unter Kontrolle zu bringen, ohne vorher langfristige Vorbereitungen für eine solche Situation getroffen zu haben. Dass das zum Scheitern verurteilt ist, habe ich bereits erläutert. Dass es trotzdem versucht wird, ist verständlich. Niemand in Regierungsverantwortung möchte sich vorwerfen oder vorwerfen lassen, nichts unternommen zu haben und für tausende von Todesfällen verantwortlich zu sein. Es ist aber zu hoffen, dass aus all dem für die Zukunft gelernt wird. Ich hoffe auch, dass endlich angefangen wird, die beschlossenen Maßnahmen besser auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Es nützt wenig, Beschränkungen zu beschließen, die minder wirksam gegen die Pandemie sind, die andererseits aber neue schädliche Auswirkungen mit sich bringen. Ich spreche hier zum Beispiel von den Existenznöten von besonders betroffenen Berufsgruppen, von psychischen Belastungen und zunehmender häuslicher Gewalt besonders in den engen Wohnverhältnissen von Großstädten, sowie von negativen Folgen für die Bildung von insbesondere jüngeren Schülern. In einer Hinsicht ist es allerdings sehr beeindruckend, was in diesem besonderen Jahr geschieht: die Solidarität und der Zusammenhalt, mit denen ein Großteil der Bevölkerung die teils sehr unangenehmen Maßnahmen mitträgt, um andere vor Erkrankung zu schützen, ist unerwartet hoch. Ob es hauptsächlich die Angst der Deutschen vor Regelverletzungen ist, oder tatsächlich ein an-alle-Denken statt nur an sich selbst, ist dabei zweitrangig. Wenn man das Coronajahr als eine Art erzwungenes soziales Experiment sieht, dann kann sich das Ergebnis durchaus sehen lassen. 

 

Dienstag, 1. Dezember 2020

Mein Tempel

Die Kirche meiner Träume. Ich nenne sie mal den „Tempel“. Auch Jesus ging in den Tempel, nicht in die Kirche. Ich könnte auch „Heiligtum“ sagen, oder „Heilige Stätte“, oder „Sanktuarium“. Hat alles etwas Heiliges, Beruhigendes. „Kirche“ ist leider oft negativ besetzt heutzutage. Liegt teilweise an der Vergangenheit, teilweise auch an der Gegenwart. Man denkt dabei leicht an große, kalte, dunkle Gebäude. Ja, die haben auch etwas, auf jeden Fall. Aber in meinem Tempel, da ist es warm, auch im Winter. Da braucht man keinen Mantel und keine Decke. Da wartet man nicht frierend auf das Ende des Gottesdienstes, sondern da fühlt man sich wohl und möchte am liebsten noch länger bleiben, und das kann man auch. Denn dieser Tempel ist immer warm, immer offen, nie vereinsamt. Kirchen wirken zwischen den Gottesdiensten oft wie eine Art Museum oder Burgruine. Mein Tempel nicht. Immer ist jemand da, hat ein offenes Ohr. Denn man muss dort seine Sorgen loswerden können. Im Gespräch, wenn man möchte. Oder in der Stille, wenn einem das lieber ist. Da ist ja jeder anders. Man braucht dafür keinen Termin. Morgens um sieben kann man kommen, oder nach dem Mittagessen, oder mitten in der Nacht. Wenn draußen die Sonne scheint, dann scheint sie auch in den Tempel, durch die bunten Glasfenster (das übrigens mag ich an den großen, alten Kirchen am liebsten: den Blick durch die bunten Glasfenster ins Draußenlicht). Und wenn es draußen dunkel ist oder trüb, dann erleuchten Kerzen den Raum. Viele Kerzen. Ihre Flammen bewegen sich vom Atem und den sanften Bewegungen der Menschen, von dem leichten Luftzug, wenn jemand zur Tür hereinkommt. So, wie die Frau oder der Mann oder das Kind gerade gekleidet ist. Denn in meinem Tempel braucht man keinen engen Anzug und kein zwickendes Sonntagskleid, keine schicken drückenden Schuhe. Da kommt man wie man ist und wie man sich fühlt. Und keiner schaut schief, auch nicht die Alten. Denn die sind da mit ihrer Weisheit und werden geschätzt. Und die Kinder mit ihrem Lachen, und werden geschätzt. Ruhig ist es. Man spricht leise, im gegenseitigen selbstverständlichen Respekt füreinander. Tränen fließen auch, denn das ist gesund für die Seele und nimmt Last von ihr. Und Lachen ist auch da, denn Erleichterung und Wohlbefinden bringt Freude. Musik, die ist wichtig. Sie ist nicht zu laut, sie ist beruhigend, kontemplativ, wie man so sagt. Meist instrumental. Wenn gesungen wird, dann sind es meditative, sich immer wieder wiederholende Gesänge, die den Geist zum Frieden führen. Die Texte der alten Lieder sind oft schwer und wirken zurechtgeschustert, damit der Reim aufgeht. Musik muss aber fließend und ebenmäßig sein. Naja, da ist der Geschmack verschieden, das stimmt schon. Jeden beruhigt andere Musik. Also vielleicht gibt es verschiedene Räume mit verschiedener Musik, vielleicht auch welche ganz ohne. Auf jeden Fall gibt es auch einen Garten. Mit Bäumen und Blumen, mit Früchten im Sommer und Eiszapfen und Reif im Winter. Einen Teich. Die Natur, ihre Schönheit und Lebenskraft, das Wasser mit seinem spiegelnden Fluss, das spendet Kraft und Ruhe. Das zeigt, wo wir hingehören. Keine zurechtgestutzten Thujen und abgemessenen Rabatten, sondern ein Garten Gottes. Drinnen und manchmal auch draußen, da gibt es Geschichten. Geschichten zum Nachdenken, zum Zuhören, zum Mitfühlen, zum sich darin Wiederfinden. Die im Kopf und im Herzen bleiben, und die man danach anderen auch erzählt, immer wieder. Alte Geschichten, neue Geschichten, auch solche, die gerade eben erst entstanden sind (die Predigt war schon immer mein Lieblingsteil am Gottesdienst). Die alten Texte der Bibel in ihrer schwer verständlichen Sprache, wen berühren sie heute noch? Menschen brauchen Geschichten, in denen sie sich selbst wiederfinden, die ihnen nahe sind. In denen es um die Gefühle von Menschen geht, um die Höhen und Tiefen ihres Lebens, die weniger Berichte von längst Vergangenem sind. Die gehören eher in den Geschichtsunterricht, aber nicht in den Tempel. Während dem Zuhören, da sitzt man auf weichen Kissen, oder man liegt, den Blick zur Decke gerichtet, an der der Schein der Kerzen tanzt. Keine harten Holzbänke, kein gezwungenes Aufstehen, wenn man gerade versunken war. Ja, mein Tempel, die Kirche meiner Träume, dort ist so manches anders und doch so manches, wie wir es kennen. Es ist ein Ort, an den Mann und Frau und Kind gerne geht. Hierhin muss niemand gerufen werden, denn alle kommen von selbst. Wenn sie sorgenvoll, überlast oder beladen sind, um sich zu beruhigen, wiederzufinden, aufzutanken. Oder wenn sie voller Kraft, Weisheit, Frieden und Freude sind, um all das mit denen zu teilen, die es gerade nicht haben. Eigentlich sollte, eigentlich könnte dieser Tempel überall sein. In jedem Haus, in jedem Heim. Jedoch wir kennen das Leben. Es ist oft so anders als es sollte. Deshalb muss der Tempel da sein, als ein Ort, an dem alles gut ist, und an dem alles gut wird, das es noch nicht ist.